Das Massaker von Großkatzen

Valmik Thapar widmet sich seit 31 Jahren dem Schutz wilder Tiger, hat 8 Bücher über Tiger geschrieben und die Filmserie 'Land of the Tiger' präsentiert. Er war Vorsitzender der IUCN Cat Specialist Group für Südasien und hat die Ranthambhore Foundation gegründet, die sich für den Schutz von Tigern in ganz Indien einsetzt. Kein anderer Aktivist engagiert sich gegenwärtig leidenschaftlicher für den Schutz von Tigern. Als Teil seines anhaltenden Kreuzzuges hat er im Jahre 2001 die faszinierende Anthologie 'Saving Wild Tigers' publiziert, die sich auf ein Jahrhundert internationaler Anstrengungen im Tiger-Schutz konzentriert. Darin enthalten ist sein Essay "The Big Cat Massacre", von dem Auszüge hier - ins Deutsche übertragen - vorgestellt werden.

Ich dachte, ich würde das Ende diesen Jahrhunderts damit verbringen, die einzigartige Rettung der wilden Tiger des Ranthambhore Tiger-Reservats in Rajasthan zu feiern ... Aber ich wurde am 19. Dezember 1999 heftig wachgerüttelt ...
Es war 7 Uhr morgens, und der Smog und Dunst des Drecks von Delhi und all der Satellitenstädte hatte gerade angefangen sich zu heben. Wir fuhren über eine Stunde und dann in das auswuchernde Gewirr der Seitenstraßen von Ghaziabad, bis wir das Wohnhaus des Distrikt-Forstbeamten erreichten. Ich war in Begleitung des General-Inspektors für Forsten, und als wir aus dem Auto stiegen und ein paar Meter um eine Ecke gingen - dort waren vor uns Felle von so vielen toten Leoparden ausgebreitet und aufgehängt, dass ihr erster Anblick uns den Atem nahm und uns alle wie mit einem Schlag zum Schweigen brachte. Wie betäubt bewegten wir uns vorwärts und schauten langsam das an, was die Spitze eines Eisbergs im andauernden Massaker von Indiens Wildtieren gewesen sein muss. Wieviel tausende Morgen habe ich auf das nur geringste Zeichen eines Leoparden in Indien's Wäldern gewartet. Nach ihrem flüchtigen Anblick habe ich mich gesehnt. In mehr als 25 Jahren habe ich nur 28 lebende Leoparden gesehen, und hier war ich umgeben von 50 toten.

Einige Felle waren riesig und glänzten in der frühen Morgensonne. Sie hatten kaum Flecken - wahrscheinlich vergiftet oder durch Stromschlag getötet - ein paar sahen aus, als ob sie in Fußfallen gefangen und dann auf den Kopf geschlagen worden sind, wie das geronnene Blut nahe legte. Sie sahen alle frisch getötet aus - während der letzten sechs Monate. Sie sind irgendwo gebeizt und eingewachst worden und trugen sogar die Unterschrift des 'Künstlers' auf der Rückseite. Sie waren perfekt gefaltet wie Tischdecken - es war ein blutrünstiger Anblick. Ich konnte mir das Entsetzen vorstellen, das diese Tiere erlebt haben müssen - ihre Todesangst, ihr Todesheulen. Als ich still inmitten der Felle stand, schien mein Kopf, mein Herz, meine jede Pore in einen Abgrund geschleudert. Mir wurde klar, dass die Rettung von Ranthambhore wohl nur eine Illusion war.
Ich berührte einige der Felle, schaute sie an und drehte sie um - meine Kollegen des Ministeriums waren schockiert. In gewisser Hinsicht waren wir den Tränen so nahe, wie man es nur sein konnte. Ich bewegte ein riesiges Tigerfell - sein Fuß sah aus wie von einer Fußfalle durchlöchert, seine Flanken hatten Speer- oder Messerspuren, die nahelegten, dass der Tiger in Wut und Schmerz gebrüllt hat, und die Wildererbande war gekommen und hatte ihn niedergestochen. Meine Vision vom Ende des Jahrhunderts war zertrümmert, in Stücke gerissen; sie war in Blut gehüllt. Es gab keinen Zweifel, dass Hunderte von Leoparden und Tigern durch das Zusammenwirken von Wildererbanden in ganz Indien vernichtet wurden.
Leopardenfelle - im April 2003 in Nepal beschlagnahmt
Foto mit freundlicher Genehmigung von Dr. Ravi Sharma Aryal
Im Innersten meines Kopfes trage ich in das neue Jahrtausend nur eine Vision von Fell und Knochen, von geronnenem Blut, von einer Masse von Fellen, von dem Entsetzen, das der Mensch anrichtet. Das ist mein 'neues Jahrtausend', meine überaus unsagbare Beschämung über unsere totale Ohnmacht, die Wildnis einer großen Nation zu beschützen, meine Zerrüttung über die globale Gleichgültigkeit, unsere Wildnis weltweit zu beschützen.

Ich war mir nicht darüber im Klaren, dass der Beginn des 21. Jahrhunderts noch schlimmer werden würde. Am 12. Januar 2000, ein Tag, den ich nie vergessen werde, hat ein Polizeitrupp zusammen mit Wildtier-Inspektoren auf einen Hinweis hin, der sich aus der Beschlagnahme vom 19. Dezember ergeben haben muss, eine Razzia in drei Grundstücken in Khaga, Fatehpur im nordindischen Staat Uttar Pradesh durchgeführt und 70 Leopardenfelle, 4 Tigerfelle, 221 Antilopenfelle, 18.000 Leopardenklauen und 132 Tigerklauen beschlagnahmt. Es scheint, dass beide Beschlagnahmen zusammenhängen. Die drei Grundstücke waren illegale Fabriken, in denen Felle gegerbt und gebeizt wurden. Bis zum 15. Januar wurden aus der Umgebung dieser Grundstücke mehr als 185 kg Knochen von Tigern und Leoparden geborgen, was einen verheerenden Zustand erkennen lässt. Die Kontrolle der Regierung über Wildtiere hat völlig versagt und offensichtlich war 'Operation Vernichtung' angesagt. Als ob das nicht genug gewesen wäre, haben im Mai zwei weitere Beschlagnahmen in Haldwani zur Bergung von 80 weiteren Leopardenfellen und unzähligen anderen Fellen geführt.
Das 21. Jahrhundert hat mit einem Alptraum begonnen. Der größte Fang von Fellen großer Katzen hat innerhalb von ein paar Wochen am Ende eines Jahrhunderts und zu Beginn eines neuen stattgefunden. Nie zuvor hat es einen Fang diesen Ausmaßes und Umfangs in der Geschichte Indiens gegeben. Felle, Knochen und Körperteile von 1400 Leoparden und 50 Tigern - alle in einem Staat! Stellt Euch doch nur vor, was in diesen Fabriken im Laufe des letzten Jahrzehnts verarbeitet worden ist.

Doch das Massaker an großen Katzen geht in einem nie dagewesenen Ausmaß weiter ...