In der weiten Welt

AJT Johnsingh, Direktor des Wildlife Institute of India, bestätigt, dass es schwierig ist, Bhagya in einem indischen Zoo unterzubringen. Urs Breitenmoser kann auch nicht weiterhelfen: "Meine Frau ist soeben vom EAZA [European Association of Zoos and Aquaria] Treffen in Prag zurückgekommen. Alle Zoos klagen über zu wenig Platz und darüber, dass man nicht weiss, was mit überzähligen Tieren machen. Unter diesen Bedingungen ist die Möglichkeit und die Bereitschaft, einen Findling aus der Wildnis, der nicht ins laufende Zuchtprogramm passt, aufzunehmen, sehr gering. Wir haben solche Erfahrungen auch mit jungen verwaisten Luchsen aus dem Freiland gemacht, die wir platzieren wollten. Wir sind in der Schweiz soweit gekommen, dass wir empfehlen, die Tiere - falls eine geringe Überlebenschance besteht - in der Natur lassen oder sie gleich vor Ort zu töten. Brutal, aber der Realität in den Zoos entsprechend."
Dipendra Kali Nach einem langen Spaziergang durch die Reisfelder begegnet Bhagya zum ersten Mal einem Elefanten, der gerade mit Gras beladen aus dem Dschungel zurückkommt. Bhagya ist von dessen Größe unheimlich beeindruckt und duckt sich hinter einem niedrigen Busch. Dort bleibt er mucksmäuschenstill sitzen und beobachtet ihn mit weit aufgerissenen Augen. Ab und zu schaut er so ungläubig zu mir herüber, als sei er in ein Dschungelbuch geraten. Der Elefant wedelt nervös mit den Ohren. Erst als er weit weg in seinen Stall gegangen ist, traut Bhagya sich aus seinem Versteck heraus und schaut ihm noch lange nach.
Gerard hat mich an Sarel van der Merwe, Kurator des Bloemfontain Zoo in Südafrika und Vorsitzender der IUCN African Lion Working Group verwiesen. Sarel ist besorgt darüber, dass ein solches Tier in die falschen Hände gelangt und kritisiert, dass südafrikanische Züchter nicht immer die genaue Herkunft ihrer Zuchttiere überprüfen. Er fragt nach Belegen und erkundigt sich, ob Bhagya im Zuchtbuch eingetragen ist. Als er mehr Einzelheiten über Bhagyas Herkunft erfährt, antwortet er mir: "Nach ernsthaften Überlegungen muss ich Sie leider informieren, dass ich Ihr Leoparden-Junges nicht annehmen kann, weil es eine andere als die hier heimische Unterart ist, und wir verhindern wollen, dass es zu einer Kreuzung mit unserer ex situ (in Gefangenschaft lebenden) Population kommt."

Andere Zoologen, die ich in Deutschland, Großbritannien und USA kontaktiere, leiten mein Anliegen nach einem neuen Zuhause für Bhagya an Kollegen weiter. Aber die wenigen, die antworten, lehnen es ab, einen jungen Leoparden aufzunehmen, der nicht im Zoo geboren wurde. Auch Alan Shoemaker, Internationaler Zuchtbuch-Führer für Leoparden, erfährt so von Bhagya. In einer Email an mehrere Kollegen behauptet er: "Der Besitzer wollte einen zahmen Leoparden und hat ihn zweifellos illegal erworben. Er ist zweiffellos wild geboren. Ich bezweifle ernsthaft, ob irgendein europäisches oder nordamerikanisches Land eine Genehmigung ausstellen würde, von Pakistan ganz zu schweigen, und ich bezweifle ernsthaft, ob ein Zoo in irgendeiner dieser Regionen an dem Tier interessiert ist."

Fröhlich und unbekümmert über zweifelhafte Zoo-Bürokraten findet Bhagya großen Gefallen an den Ochsen und begegnet jedem ernsthaft zornig, der ihm den Weg verstellt. Auf der Weide beobachtet er die Ochsen eine Weile aus seiner Deckung heraus und schaut um sich, um sich zu vergewissern, dass er nicht entdeckt worden ist. Wenn eines der Buckelrinder ihm ahnungslos grasend das Hinterteil zudreht, pirscht er sich vorsichtig Pfote vor Pfote setzend an ihn heran. Entdeckt das Vieh ihn beim Anschleichen, lässt er sich sogleich auf die Seite fallen und beginnt, sich ganz unschuldig die Pfoten zu lecken. Oder er tut so, als spaziere er völlig absichtslos in diese Richtung, schnellt seinen Schwanz in die Luft und blickt zu mir herüber. Schaut das Vieh dann wieder weg, duckt er sich sofort völlig alert, fokussiert das Tier und robbt sich heran, bis er es dann endlich schafft, ihm einen Klaps auf ein Hinterbein zu geben. Komm mir nicht zu nahe !
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